Ich bin’s wieder – die Gerda: Heute möchte ich euch etwas über mein Veedel erzählen – das Vringsveedel
Spät war es geworden in der vergangenen Nacht. Der Johann hatte mir dann noch ein Zimmer im HOPPER-Hotel St. Josef in der Dreiköniginnenstraße besorgt (www.hopper.de). Eine Herberge war das Gebäude, in dem ich genächtigt habe, zu meiner Zeit noch nicht. Damals war es eine Kleinkinderbewahrschule und Volksküche, gestiftet von zwei Kölner Familien. Denn bedingt durch die starke Industrialisierung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand ein großer Betreuungsbedarf für noch nicht schulpflichtige Kinder, deren Eltern ganztägig in den Fabriken arbeiteten. So wie meine Eltern – und so war es eine Zeitlang tagsüber auch mein Zuhause.
Traumhaft gut geschlafen habe ich da – und wenn ich nicht wüsste, dass das jetzt hier alles wahr ist, ich würde denken, ich träume immer noch. Aber ihr wisst ja jetzt, wer ich bin und wo ich her gekommen bin.
Heute sieht das hier im Severinsviertel alles ganz anders aus, als zu meiner Zeit. Kein Wunder, sind es nun doch schon 100 Jahre her, als ich hier im Vringsveedel, wie wir den Stadtteil damals zu meiner Zeit nannten, gelebt und gearbeitet habe.
Der Severinskirchplatz
Stellt euch mal vor, von mir gibt es sogar ein Denkmal, das wurde mir und meinen Kolleginnen, den Stollwerck-Schokoladenmädchen gewidmet, das hatte ich Euch ja bereits erzählt. Es entstand im Rahmen eines Wettbewerbes, um den Severinskirchplatz schöner zu gestalten. Das Ergebnis war die Plastik von Sepp Hürten, die in Anlehnung an den zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebräuchlichsten weiblichen Vornamen benannt wurde. Gerda – auf den mich auch meine Eltern getauft haben.
Wenn ihr am Denkmal steht und euch umdreht, dann blickt ihr auf die Kirche St. Severin. Diese schöne Kirche steht noch immer da und sieht genauso schön aus wie früher. Sie ist dem Heiligen Severin gewidmet, der im vierten Jahrhundert der dritte Bischof der Stadt war und noch heute als Schutzpatron Kölns verehrt wird.
Die Kirche hat dem Stadtteil – der Kölner sagt „Veedel“ – seinen Namen gegeben. Denn die Kölner nannten den Heiligen Severin in ihrer Mundart „Zinter Vring“ und das „Severinsviertel“ dementsprechend „Vringsveedel“. Es gilt übrigens als eines der urkölschesten Stadtteile und das solltet ihr auf dem Weg durch Köln bzw. zum Schokoladenmuseum unbedingt erlebt haben. Wenn ihr mehr über das Veedel erfahren wollt, dann schaut doch mal hier.
Schaut mal, genau hier vor dem Portal von St. Severin standen wir – ich und meine Kolleginnen, als dieses Foto damals von uns gemacht wurde. Das waren schon harte Zeiten und wir mussten viele Stunden arbeiten. Aber wir hatten auch Spaß, wenn wir frei hatten. Dann sind meine Freundinnen und ich durchs Veedel gezogen, haben geschaut, was die Jungs so machen und dabei laut gesungen: „Wer ess für der stärkste Mann nit bang. Wer kann schänge ohne Paus drei Stunde lang. Wer kann danze su schön wie de Engel im Himmel. Wer ess stets bescheiden, un hät keine Fimsel. Wer spricht fliessend vier Sproch, hatt, höösch, laut und fing. Dat sin mir Mädcher vum Stollwerk us Kölle am Rhing“.
Besonders viel Spaß hatten wir an Karneval. Mit einem lauten „Der Zoch kütt“ haben wir ihn empfangen, wenn wir ihn schon von weitem durch die Severinsstraße haben kommen sehen. Mit „Kamelle“ Rufen haben wir Mädels dann auf uns aufmerksam gemacht und gehofft, dass wir viele Karnevalsbonbons fangen konnten. Denn darunter waren auch viele Stollwerck-Zuckerwaren und die waren beim Rosenmontagszug als „Munition“ für die „Beschießung“ der Zuschauer unentbehrlich. Oft sind wir dann mit prall gefüllten Taschen nach Hause gezogen und haben uns wahnsinnig gefreut, denn leisten konnten wir uns diese Leckerei mit unserem nichdrigen Lohn nur selten.
Vringstreff
Ich bin dann weiter um die Severinskirche herumgegangen, denn auf der Rückseite war früher der Haupteingang vom Verwaltungsgebäude der Stollwerckfabrik. Die offizielle Adresse der Schokoladenfabrik war jedoch um die Ecke in der Corneliusstraße 2.
Die Adresse Corneliusstraße 2 war übrigens bewusst gewählt. Die Schokoladenfabrik wurde damals von den Straßenzügen Ferkulum-, Cornelius-, Annonstraße und Severinsmühlengasse eingegrenzt und war als „süsses Dreieck“ von Köln bekannt. Ursprünglich sollte der Haupteingang an der Straße „Im Ferkulum“ liegen. Das hielt man für eine Süßwarenfabrik aber nicht für werbewirksam und so wurde der Haupteingang in die Corneliusstraße verlegt
Aber das Gebäude, das da heute steht, sieht jetzt ganz anders aus – und die hohen spitzen Türme, die das neugotische Gebäude einst zierten gibt es auch nicht mehr. Wegen diesen Türmen nannten die Kölner das Gebäude auch den „Kamelledom“, da seine Türme fast so hoch waren wie die von St. Severin. Da, wo heute die zwei Aussparungen sind, waren damals die Türme. Ein Journalist vom Pariser Figaro hatte es zu meiner Zeit einmal so beschrieben: „Die benachbarten Straßen von ganz deliziösem Karamellengeruch erfüllt waren, und dass die Gänge und Bureaux der Fabrik mir ganz den Eindruck machten, als ob ich mich in einer riesenhaften Schokoladenkanne befände, die herrlich nach Kakao und Vanille duftete. Sogar in dem Arbeitszimmer des Herrn Stollwerck roch man den süßen Duft der heißen Schokoladenspeise, und das verlieh den buntfarbigen Statuen und Fenstern und den bemalten Säulen des Kontors einen ganz märchenhaften Anstrich. Es war, als ob man sich in einem Zauberschloss befände, wo die Steine aus Pfefferkuchen und Bonbons beständen, und die gemalten Fenster aus großen mit Zuckerwerk verzierten Platten von Kandis.“
Ins Arbeitszimmer vom Chef durften wir natürlich nicht. Aber meine Arbeitskolleginnen und ich haben manchmal nach getaner Arbeit – wenn wir abends mit unseren Schokoladenkörbchen durchs Veedel gezogen sind und beim Chef noch Licht brannte – Klingelmäuschen gespielt. Albern waren wir, haben gelacht und sind nach Hause gelaufen.
Zu meiner Zeit war es der Ludwig Stollwerck, der Stollwerck geleitet und zu seiner damaligen Blüte geführt hatte. Gestorben ist er am 12.03.1922. An seinem Todestag ist übrigens – was für ein schicksalhafter Zufall – der spätere Chef Hans Imhoff geboren.
Neugierig wie ich bin und schon immer war bin ich dann in den Vringstreff hineingegangen. Hier kümmert sich heute ein gemeinnütziger, ökumenischer Verein um benachteiligte Menschen und hat eine Begegnungsstätte geschaffen, die ein Mittagstischangebot, Freizeit- und Kulturangebote sowie Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten bietet.
An der Fassade des Hauses erinnert nichts mehr daran, dass hier der einstige Haupteingang vom Schokoladenimperium Stollwerck war. Aber die großen Glastüren geben den Blick auf zwei weiße Säulen, einen Teil der ursprünglichen Holzvertäfelung und ein hinterleuchtetes Relief frei, die auch schon zu meiner Zeit die Empfangshalle der Stollwerck-Zentrale schmückten.
Ich bin dann um die Ecke und weiter in der Severinsmühlengasse gegangen und hab mich sehr gefreut, dass hier noch ein Teil der alten Fassade des Verwaltungsgebäudes der ehemaligen Stollwerck-Fabrik zu sehen ist. Und das wird wohl so bleiben, denn sie steht heute unter Denkmalschutz.
Die Severinsmühlengasse
Das Ende der Severinsmühlengasse hat dann den Blick auf den Annoriegel und das frühere Räderwerk, den so genannten „Stollwerck-Kompressor“ freigegen. Die meisten Gebäude der früheren Stollwerckfabrik wurden – so hatte es mir der Johann erzählt – 1987 abgerissen und das Areal zu einer neuen Wohnsiedlung mit Grünflächen umgestaltet. Aber der Annoriegel ist stehen geblieben und man hat ihn zu Mietwohnungen umgebaut.
Wilde Zeiten müssen das gewesen sein. Mit Demonstrationen und Besetzungen. Wenn ihr mehr über das Veedel erfahren wollt, dann schaut doch mal hier.
Es hatte sich dann mittlerweile auch rumgesprochen, dass ich durch das Gebiet meiner ehemaligen Arbeitsstätte irre. Und zu übersehen war ich mit meiner traditionellen Arbeitskleidung ja auch nicht. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen mich grüßten und mir meine Fragen beantworteten, was in der Zwischenzeit so alles passiert ist. Einer von ihnen – auch der hatte von mir mittlerweile erfahren und nach mir gesucht – war der Wolfang. Richtig gut singen konnte der. Und da er auch ein paar von den Liedern kannte, die wir damals schon gesungen haben, sind wir gemeinsam singend durchs das Gebiet der ehemaligen Stollwerkfabrik gezogen. Sogar ein Lied über Stollwerk und die wilden Zeiten von damals hatte er geschrieben. Damals, meinte er, hätte er das mit seinen Jungs gesungen. Die Jungs haben später ein Band gegründet und nannten sich BAP. Der Name der Band – so erzählte er es mir – entstand übrigens aus dem Spitznamen, wie er ursprünglich seinen Vater nannte. Na ja, die Jungs waren wohl eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands. Dafür ist der Wolfgang aber echt bescheiden geblieben. Aber so sind sie halt, die Kölner. Das Herz am rechten Fleck. Und das war es auch, was ich immer so sehr – neben der Schokolade – an Köln geliebt habe.
Wir sind dann weitergezogen bis zum Bürgerhaus Stollwerk. In diesem schönen roten Backsteinbau aus dem Jahre 1906, der ehemals als preußisches Proviantamt diente und später von der Bundespost als Lagerhaus genutzt wurde, entstand nach einem aufwendigen Umbau hinter denkmalgeschützten Fassaden eines der größten Bürgerhäuser NRWs. Notwendig machte das die Sanierung des ehemaligen Fabrikgeländes, in dem sich das Bürgerhaus ursprünglich befand.
Verabschiedet hatte sich der Wolfgang dann am Trude-Herr-Denkmal im Trude-Herr-Park, der direkt an das Bürgerhaus grenzt. Eine lustige Frau muss das gewesen sein, die im Vringsveedel ein Volkstheater betrieben hatte. 1960 ist sie mit dem Schlager „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!“ berühmt geworden. Na ja – auch wenn die Schokolade von Stollwerck richtig lecker ist – wenn ich ehrlich bin, dann hätte auch ich lieber einen Mann. Aber so dick, wie sie war, hatt sie bestimmt ganz viel leckere Stollwerck-Schokolade gegessen. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollte, dann schaut doch mal hier.
Der Rheinauhafen
Ich bin dann über die Straße und weiter durch den Rheinauhafen gezogen. Das ist ja der Wahnsinn, wie sich der verändert hat. So schön. Viele von den Gebäuden – wie z.B. das schöne Hafenzollamt – standen auch schon zu meiner Zeit. 1898 hatte man ihn eröffnet und er war lange Zeit der wichtigste der vier Häfen in Köln – darunter der Mülheimer Hafen, der Godorfer Hafen und denen in Niehl. Nachdem der Hafenbetrieb 2001 eingestellt wurde, hat man das Gelände dann in eine Freizeit- und Erholungsanlage umgewandelt – neben den vielen Büros und Wohnungen die es hier gibt.
„Aus alt mach neu“:
Der Johann hatte mir den Weg beschrieben, denn er wollte unbedingt, dass ich ihn im Schokoladenmuseum besuchen komme. „Was habe ich doch für ein Glück“, habe ich mir gedacht und war schon sehr aufgeregt. Mit jedem Schritt stieg die Spannung in mir auf.
Und als wenn es ein Wink des Schicksals wäre, steht da am Rheinufer kurz vor dem Schokoladenmuseum – auf der Höhe des Olympiamuseums – das „Kleine Café Glück“. „Wie süß ist das denn“, habe ich mir gedacht. Und als mich die Paula und der Michael erblickt hatten, als ich an denen verbeigeschlendert bin, haben die mich auf einen Kaffee eingeladen. Wusste gar nicht, dass Kaffee so toll schmecken kann! Wir haben uns lange unterhalten, ganz persönlich und richtig nett. Das ist es wohl, was diesen Ort so besonders macht. „Was ist Glück für Dich?“ hat mich der Michael gefragt, bevor ich dann weitergezogen bin. Das Schokoladenmuseum war da ja schon in Sichtweite und lange überlegen musste ich nicht: „Schokoladenmädchen zu sein, das macht mich glücklich. Und Schokolade natürlich!“ Na ja, dass hätte er sich ja auch denken können. Denn wir beide tun, was wir lieben. Er mit Kaffee, ich mit Schokolade. Und ist es nicht das, was glücklich macht? Wenn wir das tun, was wir lieben?
Wenn ihr mehr über die Geschichte vom Rheinauhafen erfahren wollt, dann schaut doch mal hier: Das Schokoladenmuseum im Rheinauhafen
Und dann stand ich da. Auf der Brücke vor dem Schokoladenmuseum. Ein Museum für Schokolade! Der Hans Imhoff, der das Schokoladenmuseum hat bauen lassen, muss Schokolade schon sehr gerne gehabt haben, um seiner Leidenschaft so ein Museum zu widmen, was schon von außen so beindruckt. Ein „Herz aus Schokolade“ habe er, hat er mal gesagt. So muss es wohl gewesen sein. Und in seinen Adern ist wohl Schokolade geflossen. Wie hätte er sich sonst zu einem Brunnen inspirieren lassen können, aus dem den ganzen Tag lang Schokolade sprudelt und jeder die leckere Schokolade verkosten kann? Den schaue ich mir jetzt mal an. Und da ist ja auch der Johann, einer von den Maîtres Chocolatier, die hier im Schokoladenmuseum arbeiten. Alles will er mir zeigen, hat er mir versprochen. Ich bin schon ganz gespannt.
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